Ein sonniger Tag kurz vor Frühlingsbeginn in St.Michael | Eppan. Die Musikanten der lokalen Bürgerkapelle tragen zum ersten Mal ihre neue Tracht zur Schau. Stramm und stolz stehen sie da: Auf dem Kopf einen großen schwarzen Scheibenhut aus Filz mit Tschoggelen (Quasten), um den Hals die schwarzseidene Halsbinde. Das Hemd aus feinem weißen Leinen hat weite bauschige Ärmel, unter dem braunen Lodentuchrock mit Stehkragen und Revers blinken die silbernen Knöpfe des seitlich geknöpften, roten Leibls mit grün eingefasstem Halsausschnitt. Die schwarze, dezent bestickte Kniebundhose aus sämisch gegerbtem Hirschleder ist am Knie mit einem grünen Band gebunden. Schmutzigweiße Trachtenstutzen mit traditionellen Strickmustern und schwarze Schnallenschuhe vervollständigen das Gewand. Die neue Männertracht ist detailreich gefertigt, fast alles ist handgemacht. Insgesamt sechs einheimische Handwerksbetriebe und eine Lederschneiderei aus Lienz waren in das Projekt eingebunden. 2014 wurde unter der Führung des damaligen Obmannes der Bürgerkapelle Wilfried Bernard eine Arbeitsgruppe gebildet. Die bestehende Tracht war nämlich 1946 ohne hundertprozentige historische Grundlage angeschafft worden. „Sie war eher ein Musikgewand als eine Tracht“, erklärt Alexander Pircher aus Eppan, Mitglied der Arbeitsgruppe Männertracht. Sie bestand aus einer schwarzen Lodenhose, einem grell hellroten Gilet und einem weiten Hemd. „Es war kein angenehmes Rot, wir haben geleuchtet, wenn wir in der Sonne standen“, lacht Pircher. Ihm war die Rückkehr zur Tradition ein Herzensanliegen, denn entwickelt haben sich die Alltags- und Festtagstrachten bereits im frühen 18. Jahrhundert. Wenn die Arbeit in den Obstwiesen und Weingütern im Winter ruhte, stickten, strickten und nähten die Bäuerinnen in den Stuben an den Trachten. Zu besonderen Anlässen und an hohen Feiertagen trugen die Menschen auf dem Land ihre Festtagstracht.
In den vergangenen Jahrzehnten trugen oft nur noch die Mitglieder von Musikkapellen oder die
Schützen Tracht, aber langsam schlüpft auch die
Jugend immer häufiger zum Kirchgang am Sonntag,
zu Firmung, Erstkommunion und Hochzeit in
das traditionelle Gewand. Pircher freut sich über
diese Entwicklung: „Die Tracht hat ihr verstaubtes
Image abgelegt, das hat sicher auch damit zu tun,
dass viele Trachtenschneider modische Lederhosen
anbieten.“
NACHFORSCHUNGEN
Bereits vor über zehn Jahren begann man in St. Michael |Eppan darüber nachzudenken, ob es nicht eine traditionelle
Tracht gebe. Erst als eine engagierte Eppaner Mitbürgerin
mit ihrer Hinterlassenschaft auch die Bürgerkapelle
St. Michael bedachte, rückte das Projekt in Reichweite.
Die Arbeitsgruppe „Männertracht“ wandte sich an die
Arbeitsgemeinschaft „Lebendige Tracht in Südtirol“, die
Nachforschungen zu historischen Abbildungen von Eppaner
Trachten anstellte. „Ausgegangen wurde schließlich vom
Aquarell der Eppaner Tracht von Karl von Lutterotti aus dem
Jahr 1820“, erklärt Pircher. Das Bild zeigt einen Mann mit
rotem Leibl und einem braunen kurzen Rock mit Knöpfen,
Stehkragen und braunem Revers, einem sogenannten
Schölderle, wie es Ende des 18. Jahrhunderts und im 19.
Jahrhundert getragen wurde.
Nach und nach gelang es, die neue alte Männertracht
anhand alter Bilder und historischer Dokumente zu rekonstruieren.
In der Arbeitsgruppe rund um Alexander Pircher
teilte man sich die Arbeiten auf und jeder kümmerte sich
um ein Element der Tracht: Rock, Hosenheber, Leibl, Hemd,
Hose, Stutzen, Seidenflor, Scheibenhut, Knöpfe und Schuhe.
Von der alten Tracht übernommen wurden lediglich der
alte, mit Federkiel bestickte Ledergurt, der mit der Schnalle
nach hinten getragen wird, und die silbernen Knöpfe am
Tuchrock.
WERTVOLLE HANDARBEIT
Die größte Herausforderung war, an die grünen Bänder der
Lederhosen zu kommen, denn Farbe und Struktur mussten
zu den Trägern passen. „Kaum zu glauben, aber dafür haben
wir Wochen gebraucht“, erinnert sich Pircher. Erst in
München wurden sie fündig, nachdem sie den Bayerischen
Schützenbund kontaktiert hatten.
Im Frühjahr 2015 war es soweit: Jeder Musikant wurde
genau vermessen und es dauerte genau ein Jahr, bis alle
45 Männertrachten nach detaillierten Vorgaben und in
aufwendiger Handarbeit genäht waren. Alle verwendeten
Stoffe müssen aus Naturfasern wie Wolle, Leinen, Baumwolle
oder Seide bestehen und sogar für die Stiche gab es
genaue Anweisungen.
Die neue Männertracht der „Michealer Musig“ lehnt sich
stark an jene von Girlan | Eppan und Frangart | Eppan
an. Und das sei auch gut so, Eppan solle eine einheitliche
Tracht haben, finden die Mitglieder der Arbeitsgruppe.
Einzige Unterschiede: Bei den Girlanern ist die Farbe des
Huts anders, sie tragen Mantel statt Jopp und die Knöpfe
am Jopp der Frangartner sind braun statt silbern.
Mindestens 60 Stunden Arbeit stecken in jeder einzelnen
Tracht. Dafür tragen die Musikanten ihre Tracht jetzt besonders
stolz. „Wir haben eine Mordsfreude damit“, strahlt
Pircher.
Text: Petra Schwienbacher