Obstwiesen, Weinberge, Seen und urige Dörfer eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft – und immer wieder eine tiefgrüne Gardasee-Zypresse, die weit in den blauen Himmel ragt: So kennt man den Süden Südtirols entlang der Weinstraße, der aber neben mediterranem Zauber durchaus auch alpine Schätze birgt. Inmitten von saftigen Wiesen und unter dem Hausberg der Eppaner, dem kühn aufragenden Gantkofel, liegen die kleinen Dörfer Perdonig und Gaid auf 800 bzw. 900 Metern Meereshöhe.
Nicht mit dem Auto oder Fahrrad, sondern zu Fuß mache ich mich nach Perdonig auf. Um nicht der üblichen Variante von A nach B zu folgen, entscheide ich mich für einen willkommenen „Umweg“ über den Eppaner Burgenweg. Von St. Michael aus orientiere ich mich an der Markierung 8B und erreiche über den Kreuzweg das Schloss Freudenstein, das mit seinem hauseigenen Golfplatz bereits von Weitem zu erkennen ist. An ihm vorbei geht es zum Gasthof Kreuzstein, eines der beliebten Landgasthäuser dieser Gegend, wo ich rechts abbiege und
weiter der Markierung 8A und dem sogenannten Burgenweg folge. Warum sich so viele Burgfräulein und Ritter hier in diesem Burgendreieck von Boymont, Hocheppan und Korb heimisch gefühlt haben, versteht man spätestens, wenn man die erste Burgruine, Boymont, oder später das Schloss Hocheppan passiert und sich ein wenig Zeit für die Aussicht nimmt. Wald, Obstbäume und Weinreben strahlen hier in ihren schönsten Farben mit den Bergen um die Wette. Der Weg steigt nun an und in der Höhe wird es bald etwas kühler. Der frischen Brise folgend, geht es im Schatten von Buchen und Weißtannen weiter auf Weg Nummer 12 bis nach Perdonig. Ich bin nun am Ziel. Schatten spendenden Wald gibt es hier genug. Nicht umsonst ist das kleine Dörfchen für seine Waldfeste bekannt, bei denen nicht nur die Bewohner des Dorfes zu Volksmusik das Tanzbein schwingen.
Nicht mehr die Apfelbäume, sondern saftige Bergwiesen bestimmen hier im Sommer mit ihrer bunten Blütenpracht das Bild. Als würden sie sich freuen, so tanzen die Blumen im Wind. Dass diese Wiesen mehr hergeben als nur das Futter für die Kühe, erfährt man spätestens, wenn man der Perdonigerin Hildegard Kreiter einen Besuch abstattet. Die Kräuterexpertin kennt sich aus mit den Schätzen der Natur. Ob Bibernelle, Taubenkropf oder Seifenkraut, auf den speziellen Kräuterwanderungen erfährt man vom selbsternannten Kräuterweiblein alles über die verschiedenen Wiesenkräuter und ihre richtige Verwendung. Gegen jedes Wehwehchen ist ein Kräutlein gewachsen – und Hildegard kennt sie alle.
Das Haus der mehrfachen Buchautorin liegt direkt unterhalb der Pfarrkirche zum Heiligen Vigilius. Über ein von Moos überwuchertes Holztreppchen gelange ich vom Burgenweg direkt in den weitum bekannten Kräutergarten. Kräuterspiralen mit exotischen Kräutern, Gemüsebeete, mächtige Rosenbüsche und ein kleiner Teich haben hier das Sagen. „Für einen Menschen allein ist diese ganze Schönheit fast nicht erträglich“, meint Hildegard und lacht. Und so lässt die pensionierte Lehrerin immer wieder interessierte Besucher an der Schönheit ihres Garten teilhaben und gibt in ganz Südtirol in kräuterkundlichen Kursen ihr Wissen weiter. Ihre Augen leuchten und ein strahlendes Lachen macht sich auf ihrem Gesicht breit, wenn sie von ihrer Leidenschaft erzählt – soeben kommt sie von der Ernte der Brennnesselsamen zurück. „Als Kalziumlieferant und Gewürz sind sie das beste Mittel, um den Winter unbeschadet zu überstehen“, sagt Hildegard, während sie die Samen zwischen ihren Fingern zerbröselt. Fragt man sie nach dem Geheimrezept für ihren Prachtgarten, meint sie gelassen: „Die Pflanzen wachsen so schön, weil ich ihnen viel Liebe schenke, mich auf sie einlasse, sie hege und pflege und mich tagtäglich an ihnen freue.“
Nach einem solchen ereignisreichen Tag verdient sich jeder Wanderer eine herzhafte Stärkung. Und dafür sorgen zum Glück gleich mehrere Gasthöfe und Landgasthäuser hier oben in Perdonig, die auch eine zünftige Südtiroler Marende im Angebot haben und nicht nur zur Törggelezeit sehr beliebt sind. So kehre auch ich ein und genieße in einem der Landgasthäuser bei Kaffee und Kuchen den Panoramablick über das gesamte Etschtal bis zum Rosengarten. In diesem Moment, so denke ich, gibt es keinen besseren Platz, um die Erlebnisse des Tages Revue passieren zu lassen.